Keine falsche Bewegung: Umsichtiges Arbeiten in der Höhe

Potenzielle Gefahren frühzeitig erkennen und vermeiden

 

 

Johannes Mangold

Digitalexperte bei PartnerLIFT

 

Hier ist besondere Vorsicht gefordert! (Foto: Shutterstock / Christian Delbert)

5. November 2018, 17:31 Uhr

Der Einsatz von Höhenzugangstechnik ist trotz moderner Assistenzsysteme noch mit einem Restrisiko verbunden, das sich nicht durch Technik eliminieren lässt: dem Menschen. Wie wir in unserem Beitrag über Assistenzsysteme gezeigt haben, sind diese nur so zuverlässig, wie der Mensch, der sie bedient. Beurteilt er die Situation falsch, kann selbst die beste Maschine diesen Fehler manchmal nicht mehr ausgleichen – Unfall vorprogrammiert. Wir zeigen euch, welche Fehler am häufigsten gemacht werden und vor allem wie ihr sie verhindern könnt!

Dieser Artikel soll keine Angst vor der Arbeit mit Höhenzugangstechnik verbreiten – ganz im Gegenteil: Durch das bloße Bewusstsein, was alles schiefgehen kann, können die meisten Fehltritte verhindert werden. Jeder Bediener einer Hubarbeitsbühne sollte eine Schulung besucht haben, die unter anderem die verschiedenen Gefahrenquellen und sicheres Arbeiten thematisiert.  Wer eine solche Schulung absolviert hat, fühlt sich in der Regel gut vorbereitet für die tägliche Arbeit. Die Bühne auf ebenem Boden aufstellen, maximale Korblast beachten, persönliche Schutzausrüstung anlegen und ab geht’s nach oben! Die Basics sitzen …

Doch dann ist man mal wieder oben in die Arbeit vertieft und ein leichter Wind kommt auf, die Temperatur und der Luftdruck fallen ab. Wie war das nochmal im Lehrgang? Um die eine Stelle an der Fassade zu erreichen, muss ich die Bühne leicht versetzen, nur ein kleines Stück auf den Grünstreifen … Geht schon! … oder? An diesen Ast komme ich so ran, dafür muss ich die Bühne nicht versetzen – wenn der PSA-Gurt nur nicht so stören würde! Die Schulung liegt nun vielleicht ein paar Monate zurück, die Routine in der Arbeit ist längst eingekehrt, verdrängt langsam die ständige Wachsamkeit – das ist genau der Zustand, in dem die meisten Höhenarbeiter sich befinden: Sie wissen eigentlich Bescheid, wie sie Unfälle vermeiden können. Eigentlich …

Und doch passiert es immer wieder: Bühnen stürzen um oder Menschen fallen aus dem Korb. Die Ursachen sind vielfältig, die Folgen schwerwiegend, Verursacher meistens der Bediener. Nicht, weil er es nicht besser wusste, sondern aus Unachtsamkeit! Wir zeigen, in welchen Situationen die Unachtsamkeit die schlimmsten Folgen haben kann, damit ihr dort oben die Augen offen und die Ohren gespitzt habt!

Der Sturz aus dem Korb

Was sich wie ein Horrorszenario liest, ist laut IPAF-Statistik im Jahr 2016 immer noch die weltweit häufigste Todesursache bei Arbeitsbühnen-Unfällen. Die persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz, kurz PSA-Gurt oder PSAgA, verhindert oft einen schlimmen Ausgang solcher Unfälle und ist de facto beim Arbeiten auf allen Arbeitsbühnen vorgeschrieben. Mit einem geeigneten Verbindungsmittel (längenverstellbar, maximal 1,80 m lang und mit energieabsorbierendem Element (Falldämpfer)) wird das Geschirr am Korb fixiert und sichert so gegen Stürze aus der Höhe (vgl. DGUV Information 208-019). Wie Geschirr und Verbindungsmittel beschaffen sein sollten, regelt die DIN EN 360.
Doch wie kommt es zum Sturz eines Höhenarbeiters aus dem Korb? 

Der Peitschen- oder Katapulteffekt

Wird der Korb einer Arbeitsbühne zum Katapult, kann dies üble Folgen für den Bediener haben. Trägt er dazu noch keinen PSA-Gurt, setzt er sich selber größter Gefahr aus! Der Peitscheneffekt tritt häufig bei Teleskoparbeitsbühnen auf, die selbst bei voll ausgefahrenem Teleskoparm noch bewegt werden können. Die Übersicht über den Fahrweg ist aus dem Korb heraus natürlich begrenzt, der Weg selbst ist auf Baustellen oft uneben oder durchnässt. Sinkt das Rad in ein Schlagloch oder eine Pfütze, ist der resultierende Effekt oben im Korb ungleich größer: Das Rad rollt ein paar Zentimeter hinab, der Korb reagiert mit einer Bewegung um bis zu einem Meter. Der arme Bediener im Korb wird heftig durchgeschüttelt und verliert im schlimmsten Fall den Halt. Das Gleiche kann passieren, wenn plötzliche Kräfte auf den Korbarm einwirken (herabstürzende Gegenstände), sich eine Bühne mit verhaktem Korb freifährt, die Fahrtbewegung schlagartig gestoppt wird oder der weiche Untergrund nachgibt.

All diese Unfälle können verhindert werden, indem der Untergrund vor Beginn der Arbeit oben sorgfältig kontrolliert wird. Unvorhergesehene Hindernisse treten nur auf, wenn der Bediener über ungenügende Kenntnis über seine Umgebung verfügt.

Doch es muss nicht immer der Peitscheneffekt sein, der einen Arbeiter aus dem Korb befördert …

Abrutschen

Der Bediener lehnt sich aus dem Korb, verliert den Halt und stürzt. Simple as that. Ob er abrutscht, ins Leere greift oder aufgrund eines Schrecks oder Schmerzes loslässt, ist irrelevant, denn das Resultat bleibt dasselbe: Ein schwerer Unfall, der hätte verhindert werden können.

„Wenn ich nicht vorsichtig wäre, könntet ihr mich nicht dazu bringen, es zu sein, indem ihr mich ermahnt, es zu sein.“

Dr. Sheldon Cooper, The Big Bang Theory

Danke Dr. Cooper! Besser hätte ich es nicht ausdrücken können. Gegen derartigen Leichtsinn kann selbst die eindringlichste Warnung nichts ausrichten. Wer so unüberlegt handelt, hat hoffentlich keine Kinder.  

Die Bühne stürzt um – größte Gefahr für Bediener und Umstehende

Vor einer Gefahr kann selbst die beste PSA nicht schützen: das Umstürzen der Bühne.  Die Physik dahinter ist einfach: Wird er Korbarm zu einer Seite ausgefahren, wandert der Schwerpunkt des gesamten Fahrzeugs ebenfalls zur Seite. Überquert der Schwerpunkt die Kippachse, also die gedachte Linie zwischen den beiden Auflagepunkten (Räder oder Abstützungen), auf denen die größte Last liegt, beginnt die Bühne umzustürzen. Leider sind die Gründe für eine Verlagerung des Schwerpunktes vielfältig und weder Schwerpunkt noch Kippachse sind sichtbar, sodass Lippenbekenntnisse à la „Ich passe schon auf“ nicht ausreichen – wenn die Bühne erstmal kippt, ist es zu spät. Was also sind die Gründe für das Umstürzen der Arbeitsbühne?

Wenn die Last zu groß wird

Jede Arbeitsbühne hat eine maximale Korblast. Sie ist Bauartbedingt und wird im Reichweitendiagramm vom Hersteller angegeben, zusammen mit der maximalen seitlichen Auslage. Ist der Korbarm weit zur Seite ausgefahren, verringert sich die maximale Korblast. Wird sie überschritten, kann es zum Unfall kommen. Wer Reichweitendiagramme lesen kann, ist klar im Vorteil. Moderne Arbeitsbühnen haben übrigens ziemlich ausgeklügelte Assistenzsysteme, die genau diese Art von Unfall verhindern können – wenn man sie versteht. Mehr dazu in unserem Artikel „Wer moderne Arbeitsbühnen zum Umstürzen bringt, legt es drauf an".

Risikofaktor Untergrund

Der Schwachpunkt aller Assiszentsysteme, den nur der klar denkende Mensch in den Griff bekommen kann, ist die Beschaffenheit des Bodens. Weiter oben diskutieren wir den Einfluss von Schlaglöchern und Pfützen auf fahrbare Teleskoparbeitsbühnen. Doch auch die Standfestigkeit von feststehenden LKW-Arbeitsbühnen, Raupenarbeitsbühnen und sogar Scherenarbeitsbühnen wird maßgeblich von der Festigkeit des Bodens beeinflusst. Sackt die Abstützung weg, wandert der Schwerpunkt weiter nach außen und erhöht zwangsläufig den Druck auf die ohnehin schon abgesackten Auflagepunkt – egal ob Rad oder hydraulische Stütze – und langsam beginnt die Bühne, sich zu neigen.

Heikel ist es in der Nähe von Baugruben: Hier muss der Boden nicht einmal nass oder weich sein, dennoch besteht immer die Gefahr, dass der Untergrund nachgibt und in die Baugrube abrutscht. Bricht der Boden weg, sackt die Bühne deutlich schneller weg als auf durchweichtem Boden, der Peitscheneffekt ist also ein zusätzliches Problem.

Gefahr von oben

Doch nicht nur unten lauern Gefahren: Wird die Bewegung des Korbes falsch eingeschätzt, werden Hindernisse, die weit oberhalb des Bodens liegen, zur Gefahr: Streift der Korb die Glasfassade, können herausbrechende Teile schlimme Verletzungen verursachen. Drückt der Korb Äste zur Seite, werden diese zum Flitzebogen, sobald sich die Bühne frei fährt. Im schlimmsten Fall wird eine Brücke übersehen, die den Arbeiter zwischen sich und dem Steuerpult einquetscht.

Fazit

Assistenzsysteme sind eine feine Sache und sie werden von Arbeitsbühnengeneration zu Generation besser. Eines können sie jedoch jetzt noch nicht und werden es vermutlich auch nie lernen: zu denken, wie ihr es könnt. Es wird immer Extremsituationen geben, Bedingungen, die ein Haufen Sensoren und Drähte nicht beurteilen kann, weil die Datenlage nicht ausreicht, die nur ihr einschätzen könnt. Ist es sicher, die Arbeitsbühne bei Gewitter nach oben zu bringen? Der Computer weiß es nicht. Ist es sicher, die PSA nur ganz kurz abzulegen, um eine Stelle weit außerhalb des Korbes zu erreichen? Das kann kein Sensor der Welt beurteilen. Auch nicht, ob der Grünstreifen befahrbar ist, die Baugrube ausreichend abgestützt oder die Böschung zu durchnässt ist. Diese Faktoren müssen immer vom Bediener selbst beurteilt werden und sollten nicht, wie es leider immer noch viel zu oft vorkommt, achtlos ausgeblendet werden.

Johannes Mangold

Head of Digital Experience
PartnerLIFT GmbH

Telefon: 04791 / 82040 - 21
E-Mail: j.mangold@partnerlift.com

 

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